Wenn ein Kind im Kindergarten immer wieder andere Kinder haut, beißt, spuckt oder Gegenstände wirft, stehen Eltern und Fachkräfte vor einer enormen Herausforderung.
Besonders wenn das Verhalten dauerhaft anhält, keine Regeln akzeptiert werden und auch Erwachsene angegriffen werden, entsteht oft ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ratlosigkeit.

Doch eines ist wichtig zu wissen:
Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten sind kein Zeichen von „Bösartigkeit“, sondern ein Hilferuf. Das Kind signalisiert, dass es mit seinen Gefühlen, Impulsen oder Anforderungen in seiner Umgebung nicht zurechtkommt.
Mit einem systematischen Vorgehen, klarer Struktur und gezielter Unterstützung lässt sich diese Situation verbessern – und genau dabei können Eltern viel bewirken.

1. Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten verstehen – ein Signal statt „schlechtes Benehmen“

Viele Eltern fühlen sich zunächst schuldig oder fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben. Doch auffälliges Verhalten entsteht selten aus „schlechter Erziehung“.
Häufig liegen Überforderung, emotionale Unsicherheit oder Entwicklungsverzögerungen zugrunde. Das Gehirn eines 3- bis 4-jährigen Kindes ist noch nicht in der Lage, Gefühle zuverlässig zu kontrollieren. Starke Emotionen wie Wut, Frust oder Angst können daher plötzlich und heftig herausbrechen – insbesondere wenn Sprache, Impulskontrolle oder Bindung noch nicht stabil entwickelt sind.

Eltern sollten sich bewusst machen:

  • Das Verhalten ist eine Form von Kommunikation – auch wenn sie destruktiv wirkt.
  • Das Kind braucht Hilfe bei der Gefühlsregulation, keine Strafe.
  • Ein verständnisvoller Blick hinter das Verhalten ist die Grundlage für jede weitere Unterstützung.

2. Enge Zusammenarbeit mit der Kita – gleiche Sprache, klare Strukturen

Ein zentrales Element im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten ist die Kooperation zwischen Elternhaus und Einrichtung.
Nur wenn beide Seiten verbindlich und einheitlich handeln, kann das Kind Orientierung finden.

Empfehlenswert sind:

  • Regelmäßige, kurze Reflexionsgespräche mit den Erzieherinnen (z. B. wöchentlich).
  • Ein Verhaltensprotokoll, in dem Auslöser, Zeitpunkt und Reaktion dokumentiert werden.
  • Absprachen zu konsequenten Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen (z. B. sofortiges Unterbrechen, klare kurze Ansprache, Rückzug in eine sichere Ecke zur Beruhigung).
  • Positive Verstärkung von erwünschtem Verhalten: Jede kleine gelungene Situation wird gelobt, um das Selbstwertgefühl zu stärken.

So bekommt das Kind einen verlässlichen Rahmen, der Sicherheit gibt.

3. Entwicklungsdiagnostische Abklärung – Ursachen finden statt vermuten

Wenn Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten massiv auftreten, ist eine frühzeitige Abklärung sinnvoll.
Eltern können sich dazu an den Kinderarzt oder an ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) wenden. Dort wird interdisziplinär geprüft, ob z. B. vorliegen:

  • Sprachentwicklungsverzögerungen
  • Wahrnehmungs- oder Regulationsstörungen
  • ADHS oder autistische Verhaltensmerkmale
  • emotionale Belastungen oder traumatische Erfahrungen

Eine klare Diagnose ist keine „Schublade“, sondern hilft, gezielte Förderung zu ermöglichen und das Kind besser zu verstehen.

4. Frühförderung und heilpädagogische Unterstützung – individuelle Förderung nutzen

Stellt sich ein besonderer Förderbedarf heraus, haben Kinder Anspruch auf Frühförderung gemäß § 46 SGB IX. Diese kann sowohl in der Kita als auch außerhalb stattfinden und umfasst z. B.:

  • Heilpädagogische Förderung (Spiel- und Beziehungsgestaltung, Emotionsregulation)
  • Ergotherapie (Förderung von Körperwahrnehmung, Impulskontrolle, sozialem Verhalten)
  • Logopädie (wenn Sprachverzögerungen Frustrationen auslösen)
  • Psychomotorik oder sensorische Integrationstherapie

Die Kosten werden meist vom Jugendamt oder der Krankenkasse übernommen, sobald ein Förderbedarf festgestellt ist.
Frühförderstellen beraten Eltern bei der Beantragung und erstellen gemeinsam einen Förderplan.

5. Elternberatung und Familienhilfen – gemeinsam neue Wege finden

Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten belasten auch das Familiensystem. Viele Eltern geraten in ständigen Stress, fühlen sich überfordert oder erleben Ablehnung durch andere Eltern.
Um aus dieser Spirale auszusteigen, lohnt sich der Weg zu einer Erziehungs- oder Familienberatungsstelle (z. B. von Caritas, Diakonie, AWO, Kinderschutzbund, Pro Familia, Jugendamt).

Dort können Eltern lernen:

  • klare, konsequente Grenzen liebevoll zu setzen
  • Konflikte deeskalierend zu begleiten
  • Ruhig zu bleiben, auch wenn das Kind „ausrastet“
  • ihre eigenen Ressourcen zu stärken, um gelassener reagieren zu können

Die Beratung ist in der Regel kostenlos und wird vertraulich behandelt.

6. Alltag entlasten und Ressourcen stärken – auch an sich selbst denken

Ein Kind mit massiven Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten fordert alle Kräfte der Eltern. Umso wichtiger ist es, Entlastung aktiv zu organisieren:

  • Unterstützung durch Großeltern, Freunde oder Babysitter
  • ggf. Familienhilfe nach § 31 SGB VIII, wenn der Alltag dauerhaft überfordert
  • bewusste Auszeiten für Eltern (z. B. Spaziergänge, Sport, Hobbys)
  • Austausch mit anderen betroffenen Eltern (Selbsthilfegruppen, Online-Foren)

Nur wenn Eltern wieder Ruhe und Energie tanken, können sie ihrem Kind die nötige Sicherheit vermitteln.

7. Kleine Fortschritte würdigen – Entwicklung braucht Zeit

Veränderungen brauchen Geduld.
Ein Kind mit großen Gefühlsstürmen wird nicht von heute auf morgen ruhig und kooperativ – aber jede kleine Verbesserung ist ein wichtiger Schritt:

  • Heute nur 1 statt 5 Wutausbrüche?
  • Zum ersten Mal nach einer Auseinandersetzung wieder entschuldigt?
  • Einen halben Tag ohne Beißen geschafft?

Diese Erfolge bewusst zu benennen, zu loben und zu feiern, stärkt Motivation und Selbstwertgefühl des Kindes – und gibt auch den Eltern Hoffnung.

8. Was Erzieher bei Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten konkret tun können

Pädagogische Fachkräfte stehen bei einem Kind mit stark herausforderndem Verhalten im Mittelpunkt des Geschehens: Sie erleben die Ausbrüche täglich, müssen die Gruppe gleichzeitig schützen und einen Weg finden, das Kind trotzdem zu integrieren.
Dieser Spagat ist enorm belastend — und braucht ein professionelles, strukturiertes Vorgehen, um sowohl dem Kind als auch der Gruppe gerecht zu werden.

Hier sind die wichtigsten Handlungsmöglichkeiten für Erzieherinnen und Erzieher:

8.1 Verhalten systematisch beobachten und dokumentieren

  • Eine verbindliche Verhaltensdokumentation ist der erste Schritt: Wann treten die Ausraster auf? Was ist vorher passiert? Wie lange dauern sie? Wie reagieren andere Kinder, wie die Fachkräfte?
  • Empfehlenswert sind Beobachtungsbögen oder ABC-Analysen (A = Auslöser, B = Verhalten, C = Konsequenz), um Muster zu erkennen.
  • Wichtig ist eine sachliche Sprache ohne Wertung, z. B. „Kind hat XY mit der flachen Hand geschlagen“ statt „Kind war böse“.
  • Diese Aufzeichnungen sind auch für Fachstellen (SPZ, Frühförderung, Jugendhilfe) wichtig, um den Hilfebedarf einschätzen zu können.

 8.2 Eskalationen deeskalierend begleiten

  • Während akuter Ausbrüche braucht das Kind vor allem Schutz und emotionale Co-Regulation, keine Diskussionen oder Belehrungen.
  • Fachkräfte sollten ruhig bleiben, kurze, klare Ansagen machen („Stopp. Ich bin da. Ich passe auf dich auf.“) und das Kind ggf. aus der Situation in einen sicheren Rückzugsbereich begleiten.
  • Erst wenn das Kind sich wieder beruhigt hat, erfolgt ein emotional neutraler Gesprächsversuch („Du warst sehr wütend. Du darfst wütend sein. Aber niemanden hauen. Was hat dich so wütend gemacht?“).
  • Ziel ist, dass das Kind lernt: Gefühle sind erlaubt – Gewalt nicht.

8.3 Die Gruppe schützen und zugleich Teilhabe ermöglichen

  • Die übrigen Kinder müssen vor Verletzungen geschützt werden, gleichzeitig darf das auffällige Kind nicht isoliert oder ausgegrenzt werden.
  • Möglich sind z. B.:
    • zeitweise 1:1-Begleitung durch eine feste Bezugsperson
    • strukturierte Kleingruppenangebote mit wenigen Reizen und klaren Regeln
    • visuelle Tagesstrukturpläne mit Symbolkarten, damit das Kind weiß, was als Nächstes passiert
  • Wichtig ist, dass sich das Kind als wertvoller Teil der Gruppe erlebt, auch wenn es Grenzen erfährt.

8.4 Enge, wertschätzende Elternarbeit

  • Eltern erleben häufig Scham, Angst oder Abwehr, wenn sie mit Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten konfrontiert werden.
  • Erzieher sollten deshalb sehr achtsam kommunizieren:
    • regelmäßig kurze, sachliche Rückmeldungen geben („Heute lief das Freispiel gut, beim Aufräumen wurde er wieder wütend“)
    • positive Beobachtungen betonen, nicht nur Probleme
    • Eltern aktiv einbinden, z. B. gemeinsame Strategien absprechen („Was hilft ihm zu Hause beim Beruhigen?“)
  • So entsteht eine vertrauensvolle Erziehungspartnerschaft, die das Kind spürt und die Sicherheit gibt.

8.5 Ressourcenorientiert fördern

  • Bei Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten ist es entscheidend, nicht nur auf Probleme zu schauen, sondern gezielt die Stärken des Kindes zu entdecken:
    • Ist es besonders fantasievoll im Spiel?
    • Hat es ein gutes Körpergefühl?
    • Liebt es Tiere, Musik oder Bewegung?
  • Fachkräfte können diese Stärken gezielt nutzen, z. B. indem sie das Kind in Aufgaben mit Verantwortung einbinden („Du darfst heute das Klingeln für den Morgenkreis übernehmen“) oder es bei bewegungsreichen Angeboten (Turnen, Rhythmik, Naturerleben) besonders beteiligen.
  • Das stärkt Selbstwertgefühl und soziale Akzeptanz.

8.6 Fachliche Unterstützung einbeziehen

  • Kita-Teams müssen die Verantwortung nicht allein tragen.
  • Bei gravierenden Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten ist es sinnvoll, frühzeitig externe Fachkräfte einzubinden:
    • Frühförderstellen
    • Heilpädagogischer Fachdienst
    • Kita-Sozialarbeit
    • Inklusionsfachkräfte
  • Diese können das Team beraten, bei Anträgen unterstützen und ggf. eine zusätzliche Integrationskraft beantragen.

8.7 Teaminterne Entlastung und Supervision nutzen

  • Der Umgang mit massiv herausforderndem Verhalten ist psychisch sehr belastend.
  • Das Kita-Team sollte regelmäßige Fallbesprechungen durchführen und sich kollegial rückversichern („Wie hast du in der Situation reagiert?“).
  • Auch externe Supervision oder Fortbildungen zu Themen wie Emotionsregulation, Deeskalation oder Bindung sind sinnvoll, um Handlungssicherheit zu stärken und Burnout vorzubeugen.

8.8 Langfristige Ziele setzen – kleine Schritte feiern

  • Wichtig ist, realistische Zwischenziele zu definieren:
    • Heute nur 2 statt 5 Ausraster
    • 10 Minuten ruhiges Spiel mit einem anderen Kind
    • das erste Mal nach einem Konflikt „Entschuldigung“ sagen
  • Jeder kleine Fortschritt wird wertschätzend benannt und positiv verstärkt.
  • Das Kind soll erleben: „Ich kann es schaffen. Ich werde gesehen – nicht nur, wenn ich auffalle.“

9. Kita und Eltern als gemeinsames Team – der Schlüssel zum Erfolg

Nur wenn Eltern und Kita verbindlich zusammenarbeiten, lassen sich Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten nachhaltig verbessern.
Das erfordert Geduld, Offenheit und den Mut, auch Hilfe von außen anzunehmen.
Doch der Einsatz lohnt sich: Mit klaren Strukturen, emotionaler Sicherheit und konsequenter Förderung können viele Kinder lernen, ihre Gefühle besser zu steuern und sich wieder als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen.

Fazit: Frühe Hilfe kann viel verhindern

Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten sind kein Zeichen „schlechter Erziehung“, sondern meist ein Hilferuf des Kindes.
Mit Verständnis, Struktur und professioneller Unterstützung können Eltern dazu beitragen, dass ihr Kind lernt, seine Gefühle besser zu regulieren, Konflikte konstruktiv zu lösen und wieder positiv in der Gruppe mitzuwirken.

Frühes Handeln ist dabei entscheidend:

  • Verhalten beobachten
  • mit der Kita zusammenarbeiten
  • fachliche Abklärung einleiten
  • Frühförderung und Beratung nutzen

So erhält das Kind die besten Chancen, seine Entwicklung in sichere Bahnen zu lenken – und der Alltag aller Beteiligten wird deutlich entspannter.