Frage:
Es geht um ein Kind, 3.5 Jahre alt, es beißt andere Kinder immer wieder. Laut der Mutter macht es das Kind aus Langeweile. Es passiert in ganz unterschiedlichen Situationen und es geschieht immer sehr schnell. Außerdem wird beobachtet, dass er ganz oft Sachen in den Mund nimmt, z.B. entweder Finger oder sein T-Shirt. Er beißt sich auch selber leicht in den Ärmeln bzw. kaut darauf herum. Was können wir tun?
Antwort:
Das Verhalten, das du beschreibst, kann auf mehrere Ursachen hinweisen und ist bei Kindern im Alter von etwa 3,5 Jahren nicht ungewöhnlich. Es zeigt, dass das Kind ein starkes inneres Bedürfnis hat, das es aktuell anders nicht ausdrücken oder regulieren kann. Hier sind einige mögliche Ursachen und hilfreiche Strategien:
Mögliche Ursachen:
- Sensorisches Bedürfnis:
Das Kauen auf Gegenständen (Shirt, Ärmel, Finger) und auch das Beißen anderer kann ein Hinweis auf ein starkes orales Bedürfnis sein. Manche Kinder verarbeiten Reize über den Mund – ähnlich wie Babys, die alles in den Mund nehmen. - Selbstregulation und Stressabbau:
Wenn Kinder überfordert, gelangweilt, unsicher oder frustriert sind, beißen sie manchmal, weil sie Gefühle noch nicht anders ausdrücken können. Das Beißen kann ihnen kurzfristig helfen, sich zu entlasten. - Langeweile oder Unterforderung:
Wie die Mutter schon sagt – wenn das Kind unterfordert ist, sucht es nach einer Reizquelle oder einem Spannungsventil. - Mangel an Impulskontrolle:
Mit 3,5 Jahren ist das Gehirn noch in der Entwicklung, besonders der Bereich, der für Impulskontrolle zuständig ist. Manche Kinder brauchen hier länger oder mehr gezielte Unterstützung.
Was kann helfen?
- Sensorische Bedürfnisse gezielt befriedigen:
- Kauartikel anbieten: z. B. spezielle Beißketten oder Kaustifte (gibt es für Kinder mit oralen Bedürfnissen).
- Kleine Snacks: wie Karottensticks, Apfelschnitze, Reiswaffeln – regelmäßig zwischendurch.
- Knetmasse oder andere taktile Materialien: Beschäftigung für die Hände kann innerlich beruhigend wirken.
- Emotionale Begleitung und Deutung:
- Situationen beobachten und frühzeitig begleiten: „Ich sehe, du wirst unruhig – komm, wir machen was mit den Händen!“
- Nach einem Vorfall: ruhig sagen, was passiert ist: „Du hast XY wehgetan. Du darfst nicht beißen. Wenn du etwas brauchst oder dich langweilst, sag es mir.“
- Impulse umleiten und Alternativen einüben:
- Einfache Alternativen zum Beißen benennen, z. B.:
„Wenn du was im Mund brauchst, dann kannst du auf … kauen“
oder: „Du kannst in dein Kuscheltuch beißen, aber nicht in Kinder.“
- Alltag strukturieren und anpassen:
- Wechsel zwischen Aktivität und Ruhe bewusst gestalten
- Kleingruppenangebote oder gezielte Aufgaben, um Langeweile zu reduzieren
- Dem Kind kleine „Verantwortungen“ geben: z. B. Helfer sein, Materialien holen.
- Elternarbeit und gemeinsame Strategie:
- Regelmäßiger Austausch mit den Eltern – gibt es zu Hause bestimmte Auslöser oder Strategien, die funktionieren?
- Ggf. auch an Frühförderung oder Ergotherapie denken, wenn das Verhalten sehr stark ausgeprägt ist oder bestehen bleibt.
Beachte:
Dies ist nur eine kurze Zusammenfassung einiger wichtiger Punkte zu dem Thema. Es ersetzt keine genaue Beobachtung des Kindes, evtl. ist auch ein schriftliches Protokoll über die betreffenden Situationen nötig, sowie ein Austausch mit den Erziehern und Eltern und ggf. mit weiteren Fachleuten.
Zur weiteren Vertiefung hier einige Verweise:
- Sensorische Bedürfnisse und orale Selbstregulation:
Ayres, A. Jean (2007): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Wahrnehmungsstörungen verstehen und behandeln. Springer Verlag.
Kranowitz, Carol Stock (2005): The Out-of-Sync Child. (besonders Kapitel über sensorische Verarbeitung und orale Reize)
- Impulskontrolle & emotionale Entwicklung bei Kleinkindern:
Remo H. Largo (2019): Kinderjahre – Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. Piper Verlag.
- Ursachen für aggressives Verhalten im frühen Kindesalter:
Petermann, Franz & Wiedebusch, Sandra (2013): Aggressives Verhalten bei Kindern. Hogrefe Verlag.
Laevers, Ferre (Hrsg.) (2002): Mit Kindern im Gespräch – Wohlbefinden und Engagement in der Frühpädagogik.
- Pädagogische Handlungsstrategien in Kita & Elternarbeit:
Tanja Pütz & Timm Albers (2021): Inklusion in der Kita – Handlungskompetenz im Alltag. Verlag Herder.
Maria Aarts – Marte Meo Konzept: (praktische Anleitung zur Entwicklungsunterstützung durch Videoanalyse und gezielte Interaktion)
- Entwicklungspsychologie allgemein:
Berk, Laura E. (2022): Entwicklungspsychologie. Pearson Studium.
Schmidt, Martin R. (2016): Pädagogik der frühen Kindheit. UTB Verlag.